Objekt des Monats
Oktober 2021
Turmkreuz der Heilig-Geist-Spitalkirche
Betritt man den Alten Bau, so ist unser Objekt des Monats das erste Ausstellungsstück, das man erblickt. An der Wand des Foyers erinnert das eiserne Turmkreuz an die Heilig-Geist-Spitalkirche auf deren Spitze es sich einst befand. Das Geislinger Spital wurde 1351 als Stiftung der adligen Familie von Nellingen gegründet. An seinem Standort in der Unteren Vorstadt Geislingens entwickelte es sich über Jahrhunderte zu einer Einrichtung, die immer mehr soziale Aufgaben in der Stadt wahrnahm.
Anders als der Name vermuten lässt, handelte es sich beim Geislinger Spital, wie bei den meisten frühneuzeitlichen Spitälern, nicht um ein Krankenhaus im heutigen Sinne. Eine Aufnahme und Versorgung erhielten zunächst diejenigen, die durch das soziale Raster der Stadtgesellschaft fielen, das durch Stand, Besitz und vor allem die Fähigkeit zu arbeiten geprägt war. So zählten Kranke und Alte ebenso zu den Nutznießern des Spitals wie Arme, mittellose Witwen und Waisen sowie Menschen mit Behinderung. Auch Aussätzige und Personen mit ansteckenden Krankheiten wurden – wenn auch in einem eigenen „Siechenhaus“ – aufgenommen. Neben einer Unterkunft und Nahrung erhielten die Insassen auch eine medizinische Versorgung, sodass das Spital nur teilweise mit einer heutigen Klinik verglichen werden kann. Vielmehr kann ein Spital als Vorläufer von Pflege- und Kinderheimen angesehen werden. Neben benachteiligten Gesellschaftsschichten konnten sich ab dem 16. Jahrhundert auch wohlhabende Geislinger Bürger unter bestimmten Voraussetzungen einen Platz im Spital sichern, um dort wie in einem Altenheim gut versorgt ihren Lebensabend zu verbringen. Auch ein Herbergsbetrieb für Durchreisende wurde aufgenommen. Die finanzielle Basis des Spitals lag dabei in Stiftungen, einem stetig erweiterten Grundbesitz, der eigenständig bewirtschaftet wurde und Abgaben von der Stadt und ihren Bürgern.
Der gleichzeitig zunehmende Reichtum des Spitals spiegelte sich nicht nur in seiner Rolle als Kreditgeber für öffentliche und private Zwecke, sondern auch durch die zahlreichen großen Gebäude, die das Spitalareal in der Stadt prägten. Zu ihnen gehörte, neben der stattlichen Spitalverwaltung, die heute die Musikschule beherbergt, die schräg gegenüber, direkt neben dem Spitaltor gelegene Spitalkirche. Sie sollte neben dem materiellen Unterhalt der Insassen die geistige Versorgung sichern. Gebete um Linderung von Sorgen und Nöten sowie ein Dank für die empfangene Unterstützung waren in der 1394 erstmals erwähnten Kapelle möglich und Letztere auch gefordert. Dieser, dem Heiligen Leonhard geweihte Bau wurde 1615 zur „Spitalkirche“ des Heilig-Geist-Spitals erweitert. Die neue Kirche wurde auch in der Folgezeit immer wieder verändert und erhielt unter anderem einen kleinen Turm als Dachreiter, der jedoch bis 1810 wieder verschwand. An seiner Stelle erhob sich bis 1843 das im Museum ausgestellte Turmkreuz. In diesem Jahr musste auch die Spitalkirche den Veränderungen an den Rändern der Altstadt weichen. Ihr waren ab den 1820er Jahren schon das nahegelegene Spitaltor und weite Teile der Stadtmauer vorangegangen, um die Stadt verkehrstechnisch zu öffnen. Die Spitalkirche war insbesondere den Fuhrwerken im Wege, die die Stadt über den Wilhelmsplatz Richtung Altenstadt verließen. Die Verlagerung der Gottesdienste in die Stadtkirche ermöglichte diesen ersten vollständigen Abriss eines Spitalgebäudes – ihm sollten bis zur Auflösung des Spitals 50 Jahre später und noch weit darüber hinaus weitere Bauwerke folgen.
Von der Spitalkirche ist heute nur noch das Turmkreuz als Relikt erhalten. Der Heilige Geist wird an der Spitze durch eine Taube symbolisiert, die durch drei Schnäbel aus jedem Blickwinkel auf das Kreuz erkennbar ist. Darunter befindet sich das eigentliche Kreuz mit drei Querbalken. Der Überlieferung nach stehen sie für die drei Kernaufgaben des Spitals: die Spitalpflege, die Armenpflege und die Siechenpflege. Von wohlgesinnter Hand beim Abbruch gerettet, wurde das Kreuz in den 1920er Jahren in das damals neu geschaffene Heimatmuseum des Geislinger Altertumsvereins übernommen. So zeugt dieses Objekt noch heute im Alten Bau von einer verschwundenen Kirche und der Geschichte einer über Jahrhunderte wichtigen sozialen Einrichtung in Geislingen.
Turmkreuz der Heilig-Geist-Spitalkirche
Herstellungsort/-jahr: Geislingen an der Steige, 18. Jahrhundert
Material: Metall