November 2023
Bitte nicht berühren!
Diesen Hinweis, der mal freundlich, mal strenger den Museumsbesuchern in jedem Museum begegnet, gilt für alle Objekte. Manche benötigen diesen schützenden Hinweis aber mehr als andere, in Geislingen etwa Objekte aus sehr zerbrechlichem, hauchdünnem sogenanntem Myra-Glas.
Nach dem Ersten Weltkrieg (1914–1918) baute die Württembergische Metallwarenfabrik (WMF) ihre 1883 in Geislingen gegründete Glashütte wieder auf und versuchte dank der Entwicklung neuer Produktpaletten neue Kunden anzuwerben. Hierzu stellte der damalige WMF-Direktor Hugo Debach den Künstler und Glastechniker Karl Wiedmann (1905–1992) ein, der ab 1925 die Leitung der WMF-Glashütte übernahm. Sein Auftrag lautete, er solle ein besonders feines und irisierendes Glas nach den Vorbildern bei Tiffany oder der Manufaktur Loetz entwickeln. Wiedmann ließ sich in diesem Vorhaben vom Jugendstil (art nouveau) inspirieren. Das Ergebnis seiner Arbeit ging 1926 nach fast eineinhalbjähriger Entwicklungszeit in Geislingen in Serienproduktion. Den typischen regenbogenähnlichen Farbverlauf der Myra-Gläser hatte Wiedmann dank der Ausarbeitung einer komplizierten Technik erlangt, bei der Bleigläser u.a. durch Gelbbeizen, dem Auftragen von Mineralsalzen und abschließendem Mattbrennen behandelt wurden. Die Gläser wurden nach dem kleinasiatischen Ort „Myra“ benannt, in dem antike Gläser geborgen worden waren, die durch Mineralsalze irisierende Oberflächen aufwiesen.
Aufgrund des sehr dünnen Glases eignet sich das Myra-Glas nicht für den alltäglichen Gebrauch und dient eher Dekorationszwecken. Das zweite serielle Kunstglas aus der Glashütte der WMF folgte 1927 und erwies sich als deutlich robuster: Das Ikora-Glas, benannt nach der farbenprächtigen Ixora-Pflanze in den Tropen, setzt sich aus zwei gefärbten und strukturierten Glasschichten zusammen, die ein Farbmuster einschließen.
Verschiedene Myra- und Ikora-Gläser aus der Glashütte der WMF sind im ersten Stock des Museums im Alten Bau, in der stadtgeschichtlichen Schau, zu sehen.
Vase aus Myra-Glas
Württembergische Metallwarenfabrik (WMF)
Geislingen, 1920er Jahre
Museum im Alten Bau