Juli 2024
Der Sitzplatz in der Kirche als Spiegel der Stadtgesellschaft
Über Jahrhunderte bildete der gemeinschaftliche Gottesdienst in der Stadtkirche ein zentrales Element des gesellschaftlichen Zusammenlebens in Geislingen. Dabei diente der jeweilige Sitzplatz als Zeichen von Einfluss, Reichtum und Status im sozialen Gefüge der Stadt und wurde durch entsprechende Inschriften kenntlich gemacht.
Die Anbringung von Namen und Wappenschildern an Kirchenbänken ist auch im Geislinger Fall eng mit der Reformation verbunden. Die Neuerungen der Reformation erbrachten eine Modernisierung des Glaubens und den teilweisen Wegfall einst kritisierter finanzieller Vorrechte der Kirche, worunter auch der Ablasshandel fiel. Auch in Geislingen wurde die vermeintliche Möglichkeit durch finanzielle Gaben an die Kirche sich nach dem Ableben von Zeit im Fegefeuer freizukaufen im frühen 16. Jahrhundert abgeschafft. Dadurch und den Wegfall anderer Einkünfte ergab sich aber auch eine Lücke in der Finanzierung der Stadtkirchengemeinde. Um Einnahmen zu generieren wurden so Sitzplätze in der Stadtkirche gegen Gebühr vermietet oder verkauft. Je nach Sitzplatz variierten die Preise. Ließen weniger Bemittelte den Namen schlicht über die Gebetbuchnische schreiben, so ließen Wohlhabendere teils aufwendig gestaltete Wappenschilder aus Holz oder Blech am teuer erkauften Platz anbringen. Als Statussymbol überdauerte manches Schild mit der Aufschrift des jeweiligen Bürgers und der Jahreszahl der Anbringung über Jahrhunderte.
Erst die neugotischen Sanierungen bereiteten den Wappenschildern innerhalb der Stadtkirche ein Ende. Mit dem Einbau neuer Kirchenbänke im Jahr 1892 ging wohl ein Großteil der Schilder verloren. Nur wenige Jahre nach der Einrichtung des Heimatmuseums im Alten Bau konnten in den 1920er Jahren immerhin 84 Wappenschilder in die Museumssammlung übernommen werden. Ob die einzigartige Sammlung der Schilder aus den Jahren 1673 bis 1823 dabei schon in der gezeigten Form und Reihenfolge aufgenagelt war oder die Anordnung in vier Reihen erst später erfolgte lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Unter den Platzinhabern befand sich dabei manch prominente Person beiderlei Geschlechts und die gezeigten Wappen verdeutlichen den jeweiligen Rang in der Stadtgesellschaft. Vom Bürgermeister und Stadtschreiber über Mesner, Zunftmeister oder Ehefrauen von Müllern und Gastwirten – an sie alle wird mit der Sammlung von Wappenschildern erinnert.
Das Objekt des Monats Juli 2024 finden Sie nicht im Museum im Alten Bau! Bis Ende Oktober 2024 ist es als eine von vielen Leihgaben in der Sonderausstellung „600 Jahre Stadtkirche 1424 – 2024“ in der Geislinger Stadtkirche zu sehen.
Sammlung von Wappen zur Kennzeichnung
des Sitzplatzes in der Stadtkirche
Geislingen, 1673 bis 1823
Museum im Alten Bau