November 2024
Eine stille Kerze an mörderischem Ort
Der Erste Weltkrieg war wie jeder andere Krieg für den einzelnen Soldaten nicht permanent durch Töten, Kampf und Bewegung geprägt. Auch in den Schützengräben gab es lange Phasen des Wartens, der Untätigkeit und Langeweile. Zur Beschäftigung wurde nicht nur die eigene Stellung ausgebaut und so gut es ging verschönert, sondern auch gespielt, Briefe geschrieben oder gar kleine handwerkliche Kunstwerke und Gebrauchsgegenstände geschaffen. Eine solche Handarbeit stellt das Objekt des Monats November dar, das auch als Erinnerung an gefallene Kameraden oder zur Vorbereitung des Weihnachtsfestes an der Front gedient haben mag.
Die Herstellung von Werkzeugen, Gebrauchsgegenständen, Modellen und Kunstwerken an Frontabschnitten des Ersten Weltkrieges wird heute unter dem Begriff „Grabenarbeit“ oder „Grabenkunst“ zusammengefasst. Egal ob es sich um Flaschenöffner, Zigarrenschneider, Erinnerungsmedaillons, Pokale oder einfachen Schmuck handelt – die verschiedenen Objekte vereinen die Werkstoffe, die häufig aus Restbeständen von Munition und militärischem Gerät bestehen. Dabei wurde nicht nur aus Materialknappheit zu Granatsplittern und Patronenhülsen gegriffen. Größtenteils sollte ganz bewusst der ursprüngliche Nutzen des Materials noch erkennbar sein, um an die Strapazen der Front, die Lebensgefahr und den heroisch verklärten Kampf zu erinnern.
Auch bei dem, mehr besinnlichen als praktischen Zwecken dienenden Kerzenständer sind die Bestandteile und ihr früherer Zweck noch gut erkennbar. Das Zentrum bildet ein Zeit- und Aufschlagzünder einer Artilleriegranate, ergänzt um weitere Messingbauteile einer Granate, in die eine Kerze gesteckt werden kann. Gehalten wird die Konstruktion durch vier Gewehrpatronen, auf einem Holzsockel stehend und umgeben von runden Schrapnellkugeln. Die in Verbindung mit Sprengstoff potenziell tödlichen Bauteile sind hier friedlich zu einem kleinen Kunstwerk vereint.
Eventuell wurde der Kerzenständer gerade im November oder Dezember fertiggestellt, als Erinnerungsstück an gefallene Kameraden oder zur Weihnachtsfeier an der Front. Eventuell sollte das fernab der Heimat gefertigte Stück aber auch als Geschenk für Freunde und Verwandte zum Weihnachtsfest im Kreis der Familie denjenigen ersetzen, der im fernen Schützengraben an sie dachte.
Grabenkunst
o.o., um 1916
Museum im Alten Bau